Mein Handywecker klingelt und ich schlage die Augen auf um
einen weiteren Tag in der nun bereits Alltag gewordenen Umgebung Ugandas zu
beginnen. Ich ziehe meine Ohropax aus den Ohren. Nachts schütze ich mich so vor
der unheimlich lauten Musik der Bars in Luwero. RnB mit dröhnendem Bass. Morgens
ist diese jedoch schon längst verhallt. Es ist ruhig bis auf wenige Schritte
auf dem Hof zur Latrine und zurück oder das Muhen der Kühe des Nachbarn, einem
Ankole, dessen Reichtum sich über seinen Viehbesitz definiert - weniger über
seine vornehme Villa.
Ich lüfte das Moskitonetz, mein einziger Moskitoschutz,
nachdem ich die Medikamente abgesetzt habe, und richte mich in meinem kleinen
Zimmer auf. Mit dem Kopf stoße ich gegen kreuz und quer gespannte Wäscheleinen.
Hier hänge ich meine Unterwäsche auf. Niemand würde sie draußen trocknen
lassen. Daraufhin schalte ich den Wecker aus und öffne die Fensterläden und die
Tür. Die Augen reibend schlurfe ich zur Latrine über den von Mauern umschlossenen
Innenhof. Die Mauern werden nur von ein paar Bananenstauden, einem Jackfruitbaum
und einem riesigen Handymasten überragt. Von der Latrine zurückgekehrt mache
ich ein paar Gymnastikübungen. Die Auswirkungen des kurzen Bettes und der
Schaumstoffmatratze auf meinen Rücken muss ich so ausgleichen.
Aus einem Kanister fülle ich nun Wasser in eine Waschschüssel,
die ich zur verdeckten Duschecke auf dem Hof trage. Es folgt meine tägliche
Reinigung von dem allgegenwärtigen Staub und notwendige morgendliche
Erfrischung. Meine Gastschwester Ritah hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine
Thermoskanne mit heißem Wasser und zwei Tassen auf die Türschwelle gestellt.
Eine Tasse für mich und eine Zweite für meinen Mitfreiwilligen René, der im
Nebenraum schläft. Ritah macht sich in Uniform mit einer Freundin auf den Weg
zur Schule, während René und ich eine Tasse Tee oder Kaffe trinken. Manchmal
gibt es auch Brot oder Banane.
Da hören wir auf dem Hof die schlurfenden Schritte unseres
Boda-Fahrers Sambwa.
Jetzt heißt es schnell die Zähne putzen, die Wasserflaschen
auffüllen und den Rucksack packen. Sambwa fährt uns jeden morgen zum
Health-Center in Kasaala, das ungefähr 15 Minuten Boda-Fahrt entfernt liegt.
Auf der Fahrt durchqueren wir zunächst Luwero. An sämtlichen zur Straße
zeigenden Häuserfronten sind große schmiedeiserne Türen angebracht hinter denen
sich kleine Läden verbergen. Dort findet man sämtliche Haushaltswaren,
Lebensmittel oder Handyshops, in denen man sein Handy aufladen oder Guthaben
kaufen kann. Direkt am Straßenrand wird Gemüse und Obst verkauft. Alle 30 Meter
steht ein Stand, an dem man Chapat, Rolex oder Samosas (mit Erbsen gefüllte
Teigtaschen) bekommt.
Viele Blicke folgen uns auf unserem Weg und Kinder rufen uns
begeistert „Mzungu“ hinterher.
Schließlich erreichen wir die Hauptstraße. Sie führt von
Kampala bis in den Sudan, daher finden sich dort nicht nur viele viele Matatus,
sondern auch große Lastwagen und Reisebusse. Wenn Letztere Luwero passieren,
eilen dutzende blaugekleidete Straßenhändler mit Bananen, roh oder gebraten,
Chapatis, Wasser und Soda, duftenden Fleischspießen oder Ananas herbei und
reichen sie hoch zu den Busfenstern. Wir folgen der Straße gen Norden, ehe wir
nach Kasaala abbiegen.
Das Dorf unterbricht die weiten Ackerflächen, die bis
dorthin die Hauptstraße säumten. Hier liegen einige Schulen, eine Kirche und
unser Arbeitsplatz, das St. Mary’s Health-Center. Ein niedriges langgestrecktes
Gebäude hinter einem hohen Zaun. Rostende Hinweisschilder stehen im Kontrast zu
einem sonst gepflegten Bau. Ungewohnt ist das Fehlen des Geruchs von
Desinfektionsmitteln. Sonst ist es einfach als eine Art Krankenhaus
identifizierbar.
Jeden Morgen finden sich die Mitarbeiter zu einem
Morning-Meeting auf dem Rasen zusammen. Dieses Treffen besteht aus Gesang,
einer Bibel-Lesung mit anschließender Interpretation und den anstehenden Ankündigungen,
alles glücklicherweise auf Englisch. Mir gefällt der morgendliche Gesang sehr
gut. Auch wenn die Mitarbeiter nicht alle katholisch sind, nehmen sie doch an
den Gebeten teil. Ingesamt scheint eine große Toleranz gegenüber anderen
Religionen zu herrschen, nur Atheismus ist für viele schwer verständlich.
Für uns vier Freiwillige, Lotti, Leonie, René und mich, gibt
es verschiedene Arbeitsbereiche, zwischen denen wir ständig wechseln.
Da ist zum Beispiel die Möglichkeit im Labor zu assistieren.
Dort werden hauptsächlich HIV-Tests durchgeführt, aber auch CD4-Zählungen, notwendig
um den Fortschritt der HIV-Infektion zu beobachten, Malariatest oder Urintests,
auf der Suche nach Auffälligkeiten wie Parasiten.
Diese Arbeit ist wirklich interessant und ich habe bereits verschiedene
Tests durchführen dürfen. Ich selber wurde ebenfalls schon zweimal auf Malaria
getestet, eine Routineuntersuchung bei Fieber. Der Raum ist so klein, dass sich
der Patient hinter die Tür setzen muss. Der Rest des Raums ist gefüllt mit
einem der zwei giftgrünen Kühlschränke des Health-Centers, einem großen
geschlossenen Arbeitsbereich unter einer Abzugshaube und einer penibel gereinigten
weißen Arbeitsfläche voller verschiedenster Maschinen. Für die Laboranten
bleibt wenig Platz.
In der Apotheke konnte ich ebenfalls schon arbeiten. Dort
wird anhand der ärztlichen Verschreibung die genaue Anzahl an Medikamenten
ausgerechnet, in kleine Tüten gepackt und ausgegeben. Mittlerweile kenne ich
daher viele Medikamente zur Therapie der HIV-Infektion und auch zur Behandlung
der vielen opportunistischen Infektionen. Auch hier ist der Platz kurz
bemessen. Die Medizin Cotrimoxazole wird an nahezu jeden Patienten ausgegeben
und in Dosen à 1000 Pillen geliefert. Daher müssen täglich Hunderte dieser
Pillen in Tüten abgepackt werden. An den dabei entstehenden Staub habe ich mich
gewöhnt. Er macht für mich mittlerweile die Atmosphäre dieses Ortes aus.
Außerdem bin ich ab und zu in der Beratung von Patienten
anwesend, die auf HIV getestet werden sollen oder bereits getestet worden sind.
Das gibt mir einen Einblick in die Geschichten der Patienten. Leider läuft das
Gespräch komplett in Luganda ab. Ich muss mir also alles übersetzen lassen. Von
den spannenden Erfahrungen dort werde ich noch berichten. In diesem Teil des
Health-Centers, genau wie in der Abteilung „Community“ werden die Patienten
außerhalb des Gesundheitsbereiches unterstützt. Ihnen wird Beratung zur
Familienplanung angeboten, eigentlich entgegen den katholischen Richtlinien des
Gesundheitszentrums, meiner Ansicht nach jedoch wirklich notwendig, angesichts
des hohen HIV-Risikos, vielen jungen Müttern und verbreiteter Polygamie.
Darüber hinaus werden Spar-Gruppen in der Dorfgemeinschaft gegründet, die als
Versicherung oder Investor fungieren können, und besonders bedürftige
Großmütter mit Matratzen, Gerätschaften zur Feldwirtschaft, Saatgut oder sogar
Lehrgängen, und Waisenkinder mit Schulgeld unterstützt.
In einem einjährigen Projekt werden insgesamt über 600
Großmütter jeden Freitag kostenfrei medizinisch versorgt. Die
„Grandmothers-Clinics“ sind für uns Freiwillige die Tage mit der meisten
Arbeit. Für mindestens 60 Großmütter suchen wir zunächst die Krankenakten
heraus um sie dann zu registrieren, zu wiegen und den Blutdruck zu messen,
bevor sie von den Krankenpflegern (arbeiten in Uganda wie Ärzte) gesehen
werden. Danach werden die Medikamente in der Apotheke ausgegeben, wo wir
ebenfalls helfen. Eigentlich ist Freitag der schönste Tag. Unsere Arbeit ist
zwar anstrengend, aber macht Spaß und ist sinnvoll.
Die Großmütter haben zum Klinikbesuch ihre besten Gewänder
angezogen, freuen sich unheimlich über unsere wenigen Worte Luganda und bedanken
sich überschwänglich für unsere Arbeit. Ein Tag der geschüttelten Hände und
glänzenden Augen.
Der eben angesprochene Sinn hinter der Arbeit fehlt mir
leider manchmal. Bereits stundenlang habe ich in der Abteilung „Monitoring
& Evaluation“ Daten in den Computer eingetippt, die vermutlich niemand mehr
lesen wird oder die schon häufig eingegeben wurden, dieses Mal soll nur ein
anderes Merkmal hervorgehoben werden. Meine Fingergelenke sind dieses viele
Tippen nicht gewöhnt. Oft wir diese Arbeit jedoch durch Stromausfälle
unterbrochen oder durch die herbeigesehnte Mittagspause, die zweite Pause nach
einer kurzen Teepause.
Vor der rußgeschwärzten Küche drängt sich dann das Personal,
jeder mit seinem eigenen Besteck, aufgrund oder Grund einer akuten
Besteckknappheit. Jeder versucht seinen Teller möglichst günstig in der
Durchreiche zu platzieren um schnell an die tägliche Portion Posho (Maisbrei),
Reis und Bohnen zu kommen. Manchmal gibt es dazu einen Löffel einer Art Kohl,
Papaya oder Banane. Sonst sind wir mittlerweile dazu übergegangen noch etwas
nachzuwürzen, ein Mittel um Abwechslung zu schaffen.
Ja, das Essen unter der Woche führt dazu, dass wir am
Wochenende im Gästehaus mit Beuteln voll Obst und Gemüse angekommen und es
vollkommen übersättigt wieder verlassen.
Nach 8 Stunden im Health-Center stolpern wir ermattet in
unser Abendprogramm.
Die restliche Zeit des Tages verbringe ich meist mit Lotti,
oft in Kasaala bei ihrer und Leonies Gastfamilie. Ihre Gasteltern sind sehr
offen und freundlich. Uns wurde beispielsweise die Zubereitung der köstlichen Chapatis
beigebracht und wir haben dafür schon Kuchen, Pizza (gezwungenermaßen vegan) und
Brot gebacken. Ich habe das Gefühl, dass dort echter Austausch stattfinden
kann.
In Kasaala nehmen wir auch Luganda-Unterricht. Zweimal die
Woche kommt ein Lehrer vorbei. Mittlerweile können wir schon einfache Sätze
bilden und wir sind motiviert noch mehr zu lernen, denn die Beherrschung der
lokalen Sprache ist unheimlich wichtig zur Integration. Wir werden Luganda
sprechend ganz anders wahrgenommen. Wenn wir den Menschen so einen Schritt
entgegentreten, erleichtern wir ihnen uns ebenfalls näher zu kommen.
Viel Zeit nimmt das Waschen von Wäsche ein. Mit Waschpulver,
Seife, einer Bürste, für besonders hartnäckige Flecken oder Jeans, und drei
Bassins voll Wasser. Ich hoffe meine Hände werden bald Hornhäute entwickeln,
denn noch habe ich kleine Wunden nach 2 Stunden Waschen.
Für Sport bleibt leider kaum Zeit. Erst zweimal habe ich
Fußball gespielt. Ich schiebe mein mehr oder weniger klägliches Versagen mal
auf die Höhe von 1300 Metern und meine fehlende Kondition. Bald werden wir
jedoch auch Volleyball spielen können und im Schwimmbad war ich auch schon
einmal. Sport ist doch eigentlich eine wunderbare Gelegenheit Leute und Sprache
besser kennenzulernen. Ich hoffe im nächsten Bericht dann von einer Glanzbilanz
berichten zu können…
Auf dem Heimweg zu meiner Gastfamilie komme ich immer bei
Joans kleinem Shop vorbei. Mit ihr hatten sich nach ein paar Einkäufen immer
längere Gespräche entwickelt. Es scheint, als ob sie darauf gewartet hat durch
Kontakt zu uns etwas aus ihrem Alltag gehoben zu werden. Es stellte sich
heraus, dass sie aus einer reiche Familie Kampalas stammt, einem Mann aufs Land
nach Luwero gefolgt ist und er sie und ihre zwei Kinder dann verlassen hat.
Es ist sehr interessant den Menschen zuzuhören.
Genau so auch meinem Gastbruder John, der abends öfters
vorbeischaut. Er erzählt von dem Nachtleben Luweros und Kampalas, aber am
meisten von den ehemaligen Freiwilligen. Immer wieder stoßen wir hier auf die
Spuren der Vorangegangenen und mir wird klar welchen Einfluss auch wir auf den
Aufenthalt der nächsten Freiwilligen haben werden, im Positiven wie im
Negativen.
Mit meiner Gastschwester Ritah und René esse ich nach dem
Sonnenuntergang zu Abend. Manchmal auch im Dunkeln, wenn kein Strom da ist.
Ritah berichtet uns viel von dem ugandischen Schulsystem und erinnert mich an
meine Schulzeit, so nah und doch so fern. Meine Situation hier in Uganda ist nun
bereits so sehr zum Alltag geworden und wird es vermutlich auch noch viel
Monate bleiben.
Ermüdet von den vielen Eindrücken stelle ich schon bald
meinen Wecker für den nächsten Morgen, drücke die Ohropax in meine Ohren und
stecke die Enden des Moskitonetzes unter meine Matratze. Ich schließe die
Augen.
(sämtliche Fotos sind von der Lotti)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen