Montag, 8. Dezember 2014

Ein Tag






Mein Handywecker klingelt und ich schlage die Augen auf um einen weiteren Tag in der nun bereits Alltag gewordenen Umgebung Ugandas zu beginnen. Ich ziehe meine Ohropax aus den Ohren. Nachts schütze ich mich so vor der unheimlich lauten Musik der Bars in Luwero. RnB mit dröhnendem Bass. Morgens ist diese jedoch schon längst verhallt. Es ist ruhig bis auf wenige Schritte auf dem Hof zur Latrine und zurück oder das Muhen der Kühe des Nachbarn, einem Ankole, dessen Reichtum sich über seinen Viehbesitz definiert - weniger über seine vornehme Villa.

Ich lüfte das Moskitonetz, mein einziger Moskitoschutz, nachdem ich die Medikamente abgesetzt habe, und richte mich in meinem kleinen Zimmer auf. Mit dem Kopf stoße ich gegen kreuz und quer gespannte Wäscheleinen. Hier hänge ich meine Unterwäsche auf. Niemand würde sie draußen trocknen lassen. Daraufhin schalte ich den Wecker aus und öffne die Fensterläden und die Tür. Die Augen reibend schlurfe ich zur Latrine über den von Mauern umschlossenen Innenhof. Die Mauern werden nur von ein paar Bananenstauden, einem Jackfruitbaum und einem riesigen Handymasten überragt. Von der Latrine zurückgekehrt mache ich ein paar Gymnastikübungen. Die Auswirkungen des kurzen Bettes und der Schaumstoffmatratze auf meinen Rücken muss ich so ausgleichen.

Aus einem Kanister fülle ich nun Wasser in eine Waschschüssel, die ich zur verdeckten Duschecke auf dem Hof trage. Es folgt meine tägliche Reinigung von dem allgegenwärtigen Staub und notwendige morgendliche Erfrischung. Meine Gastschwester Ritah hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine Thermoskanne mit heißem Wasser und zwei Tassen auf die Türschwelle gestellt. Eine Tasse für mich und eine Zweite für meinen Mitfreiwilligen René, der im Nebenraum schläft. Ritah macht sich in Uniform mit einer Freundin auf den Weg zur Schule, während René und ich eine Tasse Tee oder Kaffe trinken. Manchmal gibt es auch Brot oder Banane.


Da hören wir auf dem Hof die schlurfenden Schritte unseres Boda-Fahrers Sambwa.


Jetzt heißt es schnell die Zähne putzen, die Wasserflaschen auffüllen und den Rucksack packen. Sambwa fährt uns jeden morgen zum Health-Center in Kasaala, das ungefähr 15 Minuten Boda-Fahrt entfernt liegt. Auf der Fahrt durchqueren wir zunächst Luwero. An sämtlichen zur Straße zeigenden Häuserfronten sind große schmiedeiserne Türen angebracht hinter denen sich kleine Läden verbergen. Dort findet man sämtliche Haushaltswaren, Lebensmittel oder Handyshops, in denen man sein Handy aufladen oder Guthaben kaufen kann. Direkt am Straßenrand wird Gemüse und Obst verkauft. Alle 30 Meter steht ein Stand, an dem man Chapat, Rolex oder Samosas (mit Erbsen gefüllte Teigtaschen) bekommt.



Viele Blicke folgen uns auf unserem Weg und Kinder rufen uns begeistert „Mzungu“ hinterher.

Schließlich erreichen wir die Hauptstraße. Sie führt von Kampala bis in den Sudan, daher finden sich dort nicht nur viele viele Matatus, sondern auch große Lastwagen und Reisebusse. Wenn Letztere Luwero passieren, eilen dutzende blaugekleidete Straßenhändler mit Bananen, roh oder gebraten, Chapatis, Wasser und Soda, duftenden Fleischspießen oder Ananas herbei und reichen sie hoch zu den Busfenstern. Wir folgen der Straße gen Norden, ehe wir nach Kasaala abbiegen.


Das Dorf unterbricht die weiten Ackerflächen, die bis dorthin die Hauptstraße säumten. Hier liegen einige Schulen, eine Kirche und unser Arbeitsplatz, das St. Mary’s Health-Center. Ein niedriges langgestrecktes Gebäude hinter einem hohen Zaun. Rostende Hinweisschilder stehen im Kontrast zu einem sonst gepflegten Bau. Ungewohnt ist das Fehlen des Geruchs von Desinfektionsmitteln. Sonst ist es einfach als eine Art Krankenhaus identifizierbar.

Jeden Morgen finden sich die Mitarbeiter zu einem Morning-Meeting auf dem Rasen zusammen. Dieses Treffen besteht aus Gesang, einer Bibel-Lesung mit anschließender Interpretation und den anstehenden Ankündigungen, alles glücklicherweise auf Englisch. Mir gefällt der morgendliche Gesang sehr gut. Auch wenn die Mitarbeiter nicht alle katholisch sind, nehmen sie doch an den Gebeten teil. Ingesamt scheint eine große Toleranz gegenüber anderen Religionen zu herrschen, nur Atheismus ist für viele schwer verständlich.

Für uns vier Freiwillige, Lotti, Leonie, René und mich, gibt es verschiedene Arbeitsbereiche, zwischen denen wir ständig wechseln.




Da ist zum Beispiel die Möglichkeit im Labor zu assistieren. Dort werden hauptsächlich HIV-Tests durchgeführt, aber auch CD4-Zählungen, notwendig um den Fortschritt der HIV-Infektion zu beobachten, Malariatest oder Urintests, auf der Suche nach Auffälligkeiten wie Parasiten.
Diese Arbeit ist wirklich interessant und ich habe bereits verschiedene Tests durchführen dürfen. Ich selber wurde ebenfalls schon zweimal auf Malaria getestet, eine Routineuntersuchung bei Fieber. Der Raum ist so klein, dass sich der Patient hinter die Tür setzen muss. Der Rest des Raums ist gefüllt mit einem der zwei giftgrünen Kühlschränke des Health-Centers, einem großen geschlossenen Arbeitsbereich unter einer Abzugshaube und einer penibel gereinigten weißen Arbeitsfläche voller verschiedenster Maschinen. Für die Laboranten bleibt wenig Platz.

In der Apotheke konnte ich ebenfalls schon arbeiten. Dort wird anhand der ärztlichen Verschreibung die genaue Anzahl an Medikamenten ausgerechnet, in kleine Tüten gepackt und ausgegeben. Mittlerweile kenne ich daher viele Medikamente zur Therapie der HIV-Infektion und auch zur Behandlung der vielen opportunistischen Infektionen. Auch hier ist der Platz kurz bemessen. Die Medizin Cotrimoxazole wird an nahezu jeden Patienten ausgegeben und in Dosen à 1000 Pillen geliefert. Daher müssen täglich Hunderte dieser Pillen in Tüten abgepackt werden. An den dabei entstehenden Staub habe ich mich gewöhnt. Er macht für mich mittlerweile die Atmosphäre dieses Ortes aus.


Außerdem bin ich ab und zu in der Beratung von Patienten anwesend, die auf HIV getestet werden sollen oder bereits getestet worden sind. Das gibt mir einen Einblick in die Geschichten der Patienten. Leider läuft das Gespräch komplett in Luganda ab. Ich muss mir also alles übersetzen lassen. Von den spannenden Erfahrungen dort werde ich noch berichten. In diesem Teil des Health-Centers, genau wie in der Abteilung „Community“ werden die Patienten außerhalb des Gesundheitsbereiches unterstützt. Ihnen wird Beratung zur Familienplanung angeboten, eigentlich entgegen den katholischen Richtlinien des Gesundheitszentrums, meiner Ansicht nach jedoch wirklich notwendig, angesichts des hohen HIV-Risikos, vielen jungen Müttern und verbreiteter Polygamie. Darüber hinaus werden Spar-Gruppen in der Dorfgemeinschaft gegründet, die als Versicherung oder Investor fungieren können, und besonders bedürftige Großmütter mit Matratzen, Gerätschaften zur Feldwirtschaft, Saatgut oder sogar Lehrgängen, und Waisenkinder mit Schulgeld unterstützt.

In einem einjährigen Projekt werden insgesamt über 600 Großmütter jeden Freitag kostenfrei medizinisch versorgt. Die „Grandmothers-Clinics“ sind für uns Freiwillige die Tage mit der meisten Arbeit. Für mindestens 60 Großmütter suchen wir zunächst die Krankenakten heraus um sie dann zu registrieren, zu wiegen und den Blutdruck zu messen, bevor sie von den Krankenpflegern (arbeiten in Uganda wie Ärzte) gesehen werden. Danach werden die Medikamente in der Apotheke ausgegeben, wo wir ebenfalls helfen. Eigentlich ist Freitag der schönste Tag. Unsere Arbeit ist zwar anstrengend, aber macht Spaß und ist sinnvoll.
Die Großmütter haben zum Klinikbesuch ihre besten Gewänder angezogen, freuen sich unheimlich über unsere wenigen Worte Luganda und bedanken sich überschwänglich für unsere Arbeit. Ein Tag der geschüttelten Hände und glänzenden Augen.





Der eben angesprochene Sinn hinter der Arbeit fehlt mir leider manchmal. Bereits stundenlang habe ich in der Abteilung „Monitoring & Evaluation“ Daten in den Computer eingetippt, die vermutlich niemand mehr lesen wird oder die schon häufig eingegeben wurden, dieses Mal soll nur ein anderes Merkmal hervorgehoben werden. Meine Fingergelenke sind dieses viele Tippen nicht gewöhnt. Oft wir diese Arbeit jedoch durch Stromausfälle unterbrochen oder durch die herbeigesehnte Mittagspause, die zweite Pause nach einer kurzen Teepause.



Vor der rußgeschwärzten Küche drängt sich dann das Personal, jeder mit seinem eigenen Besteck, aufgrund oder Grund einer akuten Besteckknappheit. Jeder versucht seinen Teller möglichst günstig in der Durchreiche zu platzieren um schnell an die tägliche Portion Posho (Maisbrei), Reis und Bohnen zu kommen. Manchmal gibt es dazu einen Löffel einer Art Kohl, Papaya oder Banane. Sonst sind wir mittlerweile dazu übergegangen noch etwas nachzuwürzen, ein Mittel um Abwechslung zu schaffen.
Ja, das Essen unter der Woche führt dazu, dass wir am Wochenende im Gästehaus mit Beuteln voll Obst und Gemüse angekommen und es vollkommen übersättigt wieder verlassen.

Nach 8 Stunden im Health-Center stolpern wir ermattet in unser Abendprogramm.

Die restliche Zeit des Tages verbringe ich meist mit Lotti, oft in Kasaala bei ihrer und Leonies Gastfamilie. Ihre Gasteltern sind sehr offen und freundlich. Uns wurde beispielsweise die Zubereitung der köstlichen Chapatis beigebracht und wir haben dafür schon Kuchen, Pizza (gezwungenermaßen vegan) und Brot gebacken. Ich habe das Gefühl, dass dort echter Austausch stattfinden kann.




In Kasaala nehmen wir auch Luganda-Unterricht. Zweimal die Woche kommt ein Lehrer vorbei. Mittlerweile können wir schon einfache Sätze bilden und wir sind motiviert noch mehr zu lernen, denn die Beherrschung der lokalen Sprache ist unheimlich wichtig zur Integration. Wir werden Luganda sprechend ganz anders wahrgenommen. Wenn wir den Menschen so einen Schritt entgegentreten, erleichtern wir ihnen uns ebenfalls näher zu kommen.

Viel Zeit nimmt das Waschen von Wäsche ein. Mit Waschpulver, Seife, einer Bürste, für besonders hartnäckige Flecken oder Jeans, und drei Bassins voll Wasser. Ich hoffe meine Hände werden bald Hornhäute entwickeln, denn noch habe ich kleine Wunden nach 2 Stunden Waschen.

Für Sport bleibt leider kaum Zeit. Erst zweimal habe ich Fußball gespielt. Ich schiebe mein mehr oder weniger klägliches Versagen mal auf die Höhe von 1300 Metern und meine fehlende Kondition. Bald werden wir jedoch auch Volleyball spielen können und im Schwimmbad war ich auch schon einmal. Sport ist doch eigentlich eine wunderbare Gelegenheit Leute und Sprache besser kennenzulernen. Ich hoffe im nächsten Bericht dann von einer Glanzbilanz berichten zu können…



Auf dem Heimweg zu meiner Gastfamilie komme ich immer bei Joans kleinem Shop vorbei. Mit ihr hatten sich nach ein paar Einkäufen immer längere Gespräche entwickelt. Es scheint, als ob sie darauf gewartet hat durch Kontakt zu uns etwas aus ihrem Alltag gehoben zu werden. Es stellte sich heraus, dass sie aus einer reiche Familie Kampalas stammt, einem Mann aufs Land nach Luwero gefolgt ist und er sie und ihre zwei Kinder dann verlassen hat.

Es ist sehr interessant den Menschen zuzuhören.

Genau so auch meinem Gastbruder John, der abends öfters vorbeischaut. Er erzählt von dem Nachtleben Luweros und Kampalas, aber am meisten von den ehemaligen Freiwilligen. Immer wieder stoßen wir hier auf die Spuren der Vorangegangenen und mir wird klar welchen Einfluss auch wir auf den Aufenthalt der nächsten Freiwilligen haben werden, im Positiven wie im Negativen.

Mit meiner Gastschwester Ritah und René esse ich nach dem Sonnenuntergang zu Abend. Manchmal auch im Dunkeln, wenn kein Strom da ist. Ritah berichtet uns viel von dem ugandischen Schulsystem und erinnert mich an meine Schulzeit, so nah und doch so fern. Meine Situation hier in Uganda ist nun bereits so sehr zum Alltag geworden und wird es vermutlich auch noch viel Monate bleiben.

Ermüdet von den vielen Eindrücken stelle ich schon bald meinen Wecker für den nächsten Morgen, drücke die Ohropax in meine Ohren und stecke die Enden des Moskitonetzes unter meine Matratze. Ich schließe die Augen.

(sämtliche Fotos sind von der Lotti)